23. Februar 2014

Von der Stadt zur City


Gasse in der Innenstadt von London, Foto: Claas Gefroi


Eine ganz und gar empfehlenswerte Lektüre ist Hannelore Schlaffers Buch "Die City. Straßenleben in einer geplanten Stadt". Schlaffer ist eine feine Beobachterin der gegenwärtigen Zustände in deutschen Innenstädten. Ihre Analysen sind treffend und deprimierend zugleich, denn es ist die Beschreibung eines Kulturverlustes, den die Städte auf dem Weg zu „global vernetzten Provinzstädten“ erleiden. Der Bürger wird in ihnen auf die Rolle des Konsumenten reduziert, die Reichhaltigkeit öffentlichen Lebens schwindet. Wunderbar auf den Punkt bringt es diese kurze Passage:

„Heute gibt es in der City weder Gammler noch andere Originale oder Sonderlinge. Wo wäre der seriöse Herr, die feine Dame, wo der Angeber, der Geck, das beschwipste Paar? Und wo sind die beklagenswerten Existenzen, die Krüppel, Bettler, Tippelbrüder, Straßenhändler? Wo die Handwerker, Schuster, Schneider, Schmiede, die das alte Straßenbild durch ihre Arbeit belebten? Sie alle wohnten einst in der Stadt zusammen mit armen und reichen Müßiggängern, sie alle waren Chargen im Straßentheater. Inzwischen hat das organisierte Mitleid die Bedauernswerten eingesammelt und in für sie geeignete Ressorts ausgesiedelt; die Schönen, Reichen, Eitlen hat der demokratische Neid vertrieben, die Handwerker und kleinen Ladenbesitzer die Ökonomie. Aber auch die unterhaltsamen Ausrutscher in Kleidung und Benehmen, die jedem unterlaufen können, lässt die Sitte – oder ist es die Hygiene? - nicht gelten, nicht die Säufer, Anrempler, Anpöbler und Schreihälse. Die Sünde ist aus der Stadt verbannt, die Schönheit auch, und das Interessante ging mit beidem verloren.“

Hannelore Schlaffer: „Die City. Straßenleben in der geplanten Stadt“.Hrsg. von Anne Hamilton. Verlag zu Klampen, Springe 2013. 176 S., geb., 18,- €.

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