Oliver Korthals und Leif Nüske haben mit ihrem 1991 in einem leer stehenden ehemaligen Bowlingcenter eingangs der Reeperbahn gegründeten Tanzlokal „Mojo Club“ Pionierarbeit in Sachen Musik- und Clubkultur geleistet. Allein die Idee des Clubs war etwas Neues in Deutschland. Es gab bis dahin, mit Ausnahme kleinerer Etablissements für die schwule House-Szene oder die sich entwickelnde Techno-Bewegung (der „Tresor“ in Berlin eröffnete ebenfalls 1991), nur Diskotheken – „Orte zur Anbahnung und Pflege sozialer Kontakte“, wie es auf Wikipedia heißt, mit mal besserem, mal schlechterem musikalischem Hintergrund. DJ-Musik war hierzulande, anders als in den USA, in England oder Italien, vor allem eine Dienstleistung für den heterosexuellen amüsierwilligen Mainstream. Im Mojo hingegen ging es um Stil, Musik und Tanzen – man merkte es dem Club an, dass seine Betreiber ihre Wurzeln in der Mod- und Rare-Soul-Szene hatten. In der Provinzialität deutscher „Dissen“ waren Korthals und Nüske Kosmopoliten und holten als Brückenbauer über den Ärmelkanal den Jazz, der sich in staubige Studienrat-Ecken verkrochen hatte, via London zurück und machten ihn auf dem Kontinent zum nächsten großen Ding namens: Acid Jazz, Dancefloor Jazz. Dafür flog man Größen wie Gilles Peterson oder Massive Attack zu DJ-Sets und Konzerten ein und produzierte eine eigene Sampler-Reihe. Später fügte man – wieder weit vorne - weitere, meist elektronische Musikgenres wie Drum’n’Bass hinzu, die aber immer vom Soul und Jazz beeinflusst blieben.
Eingangsluke (Foto: Thomas Baecker) |
So war es ein herber Verlust, als der Mojo Club 2003 schließen
musste, weil das Gebäude für einen Büro-Neubau abgerissen werden sollte. Ob der
Club in der neuen Immobilie eine Heimstatt finden würde war mehr als fraglich,
denn die Jahre verstrichen, ohne dass etwas geschah. Erst 2009 erfolgte der
Abriss und anschließend der Bau der euphemistisch „Tanzende Türme“ benannten Büroriesen.
Es ist der Beharrlichkeit der Clubbetreiber, aber auch von Lokalpolitikern zu
verdanken, dass der Mojo nun tatsächlich nach zehn Jahren Abwesenheit wieder an
alter Stelle seine Pforten öffnen konnte, denn Voraussetzung für den Bau der Hochhäuser
war, dem Club in den Kellergeschossen ein neues Refugium zu schaffen. Bei allem
gutem Willen der Beteiligten war die Reanimation dennoch eine Operation mit
ungewissem Ausgang. Zum Charme des alten Mojo gehörte schließlich das
heruntergekommene Waschbetondomizil und die improvisierte Inneneinrichtung. Stattdessen
nun ein durchgestylter perfekter Neubau? Würde sich so wieder die Atmosphäre
von einst einstellen?
Rang (Foto: Thomas Baecker) |
„Going Underground“ – getreu dem Schlachtruf der Mod-Band
The Jam überlässt der Mojo den Spielbudenplatz dem Massen-Entertainment und
bleibt (das Mojo Café im Erdgeschoss eines der Bürohäuser ausgenommen) bis zum
Beginn der Nacht unsichtbar. Dann öffnen sich zwei mit dem berühmten Logo
verzierte Bodenluken und die Wissenden steigen hinab in die Tiefe – was für
eine symbolische Geste. Einmal eingetaucht in die Untergrundwelt auf zwei
Ebenen (Architekten: Thomas Baecker Bettina Kraus) verlieren die bis zu 800 Besucher rasch die Orientierung. Keine Schilder
weisen zum Dancefloor, zur Garderobe oder den Toiletten. Die einen stört das
Umherirren, die anderen erkennen die Chance, die in einem ziellosen Schweifen
liegt: Man verliert sich in Raum und Klang, lernt Leute kennen. Im Kern jedoch wurde
hier eine Ästhetik des Verzichts zelebriert; der Club nimmt sich zurück und wird
zum ordnenden Hintergrund für das, was wirklich zählt: Musik, DJs, Bands und
Tänzer. Das wird nirgends so offenbar wie im Allerheiligsten: Über zwei Etagen
erstreckt sich der eindrucksvolle große runde Saal, der für die Tänzer einen
schwimmend gelagerten Boden aus geölten Multiplexplatten bereit hält, für DJs
und Bands eine große Bühne und für Zuschauer eine geschwungene Empore bietet.
Mag Leif Nüske Vergleiche mit Opernhäusern wie der Scala ziehen – man kann
diesen Saal auch als eine Reminiszenz an alte englische Ballsäle wie dem Wigan
Casino lesen, in denen einst der Northern Soul zelebriert wurde. Das für einen
Club ungewohnt helle und statische Licht, dass die Bewegungen der Tänzer gut
erkennen lässt und der Kommunikation förderlich ist, passt bestens dazu. Die
Rundform des Saals ist klug gewählt: Alles konzentriert sich nach innen, auf
die Mitte – die Tänzer und Musiker stehen im Mittelpunkt.
Bühne (Foto: Thomas Baecker) |
Trotz viel Betons besitzt der Mojo eine warme, angenehme
Atmosphäre – akustisch wie optisch. Dies ist dem Material Holz zuzuschreiben,
dass nicht nur den Tanzboden bedeckt, sondern auch für Wandverkleidungen sowie raumhohe
perforierte, drehbare Holzlamellen (Buche-Multiplexplatten mit
Mineralwollefüllung) verwendet wird um den Raum zu strukturieren und den Schall
zu dämpfen. Die zwei Barbereiche schmiegen sich dezent um den Dancefloor. Sie bestehen
aus nicht viel mehr als monolithischen schweren Betonwerkplatten-Tresen, die
elegant zwischen den Materialien Beton und Holz vermitteln. Nicht das kleinste
Sponsoren- und Werbelogo stört den Purismus – welche Wohltat im Vergleich zum
optischen Chaos anderer Amüsierbetriebe. Diese Liebe zum Detail durchzieht den
ganzen Club und hört auch bei den zu einem weiteren Kreisrund angeordneten
Unisex-Toiletten nicht auf, deren Türen das Thema der perforierten Holzlamellen
weiterführen. Dennoch wirkt die Gestaltung des Interieurs an keiner Stelle
überambitioniert oder angestrengt; Nonchalance und Lässigkeit sind
Primärtugenden.
Toiletten (Foto: Thomas Baecker) |
„Keep the faith“ ist das Motto der Rare- und Northern-Soul
Szene, die einst auch im Mojo ihre Allnighter feierte. Der neue Mojo bewahrt
den Glauben, aber er ist nicht in der glorreichen Vergangenheit
stehengeblieben. Vielmehr transportiert er die Offenheit für Neues, aber auch
die Wärme eines eminent sozialen Ortes voller verbaler und körperlicher
Interaktionen in die Gegenwart – und das auf einem sehr, sehr hohen Niveau. Für
die von allen Seiten bedrohte Musik- und Clubkultur auf dem Kiez ist der
Kellerkoloss eingangs der Reeperbahn ein wichtiges Signal: Wir bleiben,
notfalls im Untergrund.
Claas Gefroi
Erschienen im aktuellen "Jahrbuch Architektur in Hamburg 2013", Junius Verlag, Hamburg
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