4. März 2014

Die konsumgerechte City - Stadtumbau durch Business Improvements Districts

Neue Stadtquartiere auf alten Brachen für die Aufsteiger und Etablierten, schicke Verwaltungsbauten für Großkonzerne und umgebaute Hafenspeicher für Kreativ-Startups, gewaltige Einkaufspassagen mit fünf Ebenen für die Shopper von nah und fern: Hamburg hat sich hübsch gemacht und in den vergangenen Jahren baulich viel dafür getan, das Gespenst der Stagnation zu verbannen. Einzig mit den öffentlichen Räumen tat man sich schwer. Zwar wurden in neuen Quartieren wie der Hafencity aufwändig gestaltete, attraktive Freiräume geschaffen, doch ansonsten gab es allenfalls Schlaglochbeseitigung oder neue Müllbehälter. Vor allem die Einzelhändler der Innenstadt waren erbost, weil das Umfeld in immer größerem Missverhältnis stand zu ihren schicken Läden und hochwertigen Waren. Das ist beileibe kein spezifisches Hamburger Problem: „Die Kommunen und andere Träger haben aufgrund der Knappheit öffentlicher Mittel ihre Aktivitäten im städtebaulichen, sozialen und kulturellen Bereich in den vergangenen Jahren insgesamt zurückgefahren. Eine Trendwende ist nicht zu erwarten. … Während die Probleme deutlich ansteigen, verringern sich die Möglichkeiten der Kommunen, die Entwicklung der Quartiere direkt oder indirekt positiv zu beeinflussen.“ (Stefan Kreutz, Thomas Krüger: Urban Improvement Districts: Neue Modelle eigentümerfinanzierter Quartiersentwicklung, Jahrbuch Stadterneuerung 2008, Berlin 2008)

BID Nikolaiquartier, Hamburg

Doch da die Hamburger Kaufleute traditionell ihre Geschicke gern selbst bestimmen, wollten sie sich mit diesem Niedergang nicht abfinden. So diskutierten sie bereits Mitte der 1990er Jahre über ein stärkeres Engagement der Grundeigentümer zur Stärkung der Standorte. Initiiert von der Handelskammer Hamburg bildeten sich erste lokale Interessensgemeinschaften. Dabei schaute man vor allem nach Nordamerika: In den USA und Kanada gab es seit den 1960er Jahren ein Modell zur Attraktivitätssteigerung von Einzelhandelsquartieren durch gemeinsame Investitionen der Gewerbetreibenden und Immobilieneigentümer: die Business Improvement Districts (BID). Doch ging es dort vor allem um eine Verbesserung von Sicherheit und Sauberkeit („safe and clean“) – eine Aufgabe, die hierzulande (noch) dem Staat im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge obliegt – stand für die Hamburger Geschäftsleute eine bauliche Verbesserung des Immobilienumfelds im Vordergrund, begleitet von Maßnahmen des Facility-Managements, des Marketings und der Lobbyarbeit. Nach einem Experten-Hearing in der Handelskammer 2003 wurde der Druck auf die Politik verstärkt, dafür einen gesetzlichen Handlungsrahmen zu schaffen. Die zeigte sich erfreut ob des privatwirtschaftlichen Engagements und so beschloss die Bürgerschaft bereits 2004 das „Gesetz zur Stärkung der Einzelhandels-, Dienstleistungs- und Gewerbezentren“.
 

BID Opernboulevard, Hamburg

Das BID-Grundprinzip lautet: Private Akteure erarbeiten ein Maßnahmen- und Finanzierungskonzept zur Entwicklung eines fest umrissenen Quartiers und stellen dies allen Eigentümern zur Abstimmung. Wenn nicht mehr als 30 Prozent der Eigentümer dem Antrag widersprechen, kann die Stadt das Areal zu einem Improvement District erklären. Dadurch werden alle Eigentümer zu einer Abgabe für die Verbesserungsmaßnahmen verpflichtet – Trittbrettfahren oder Verweigerung ausgeschlossen. Die Höhe des Anteils errechnet sich aus dem Einheitswert des Grundstücks, wobei es eine Belastungsgrenze gibt: Als Hebesatz für die Sonderabgabe dürfen maximal zehn Prozent der Einheitswerte im BID-Gebiet veranschlagt werden. Für die Beantragung eines BID sowie die Umsetzung der Maßnahmen wird ein Aufgabenträger, zumeist ein großer Baukonzern mit Erfahrung bei komplexen Projekten, ausgewählt. Die Aufsichtsbehörde kann den von ihm eingereichten BID-Antrag u.a. dann ablehnen, wenn öffentliche Belange oder die Rechte Dritter nicht ausreichend berücksichtigt wurden oder wenn das Konzept nicht geeignet erscheint, die Ziele umzusetzen. Das heißt, die Stadt hat gewisse, nicht eindeutig definierte Steuerungsmöglichkeiten. Im Anschluss schließen Stadt und Aufgabenträger einen Vertrag und die Umsetzung der zeitlich (zumeist auf drei bis fünf Jahre) begrenzten Maßnahmen beginnt. Hamburg war und ist bei den BIDs in Deutschland führend: Dem bundesweit ersten BID-Gesetz folgten rasch die ersten deutschen Innovationsquartiere: das BID Sachsentor in Bergedorf (2005, bereits abgeschlossen) und das BID Neuer Wall (2006) in der City, das bereits neu aufgelegt wurde. Gerade in der Innenstadt folgten zahlreiche weitere Maßnahmen wie die BIDs Hohe Bleichen / Heuberg, Passagenviertel und Opernboulevard. Einen quantitativen Sprung wird das 2014 startende BID Nikolai-Quartier bedeuten: Mit einem Investitionsvolumen von 9,4 Millionen Euro soll auf Initiative der Handelskammer ein gleich 15 Hektar großes Gebiet der Hamburger Altstadt zwischen Rathaus und St. Nikolai Kirche aufgewertet werden – das bislang größte europäische Innovationsquartier. Besonders umstritten ist das für 2014 geplante BID Reeperbahn, gegen das zahlreiche lokale Initiativen mobil machen. Die Stadt hat derweil 2008 das „Gesetz zur Stärkung von Wohnquartieren durch private Initiativen“ in Kraft gesetzt. Damit kann das Instrumentarium der Innovationsquartiere auch in Wohngebieten angewendet werden. Diese Ausweitung ist möglich geworden durch die Novellierung des BauGB im Jahre 2007, in der die rechtliche Grundlage geschaffen wurde für „private Initiativen zur Stärkung und Entwicklung von Bereichen der Innenstädte, Stadtteilzentren, Wohnquartiere und Gewerbezentren sowie von sonstigen für die städtebauliche Entwicklung bedeutsamen Bereichen“. Als eine der ersten Wohnquartiere soll die Großsiedlung Steilshoop zum HID (Housing Improvement District) werden.
 

BID Opernboulevard, Hamburg

Wie haben sich die BID-Maßnahmen ausgewirkt? In den Luxus-Einkaufsquartieren Neuer Wall und Hohe Bleichen / Heuberg wurde der öffentliche Raum der Klientel entsprechend aufgewertet: verbreiterte, granitgepflasterte Bürgersteige, hellerer Straßenasphalt, Terrakotta-Pflanzkübel, exotische Lebensbäume als Hingucker, extravagante Sitzbänke aus Messing… Hinzu kommen Marketingmaßnahmen wie Feste, Weihnachtsbeleuchtung und Werbepublikationen. Außerdem wurde am Neuen Wall eine Service-Gesellschaft engagiert, deren Personal den Straßenraum reinigt, für frisches Grün in den Pflanzkörben sorgt, Falschparker vertreibt und nötigenfalls die Polizei ruft. Hinzu kommen Sicherheitsleute, die morgens und abends Präsenz zeigen. Alles ist hübsch anzusehen, sauber und geordnet – und sticht dadurch (was ja Sinn der Sache war) aus dem eher abgewetzten, heterogenen und leicht schmuddeligen Umfeld der Reststadt heraus. Dies führt zur Frage, ob Hamburg dadurch nicht letztendlich wieder in wohlgestaltete, weil wohlhabende Viertel und arme, auch ästhetisch abgehängte Quartiere zerfällt. Und sind die Ziele, die die Immobilieneigentümer mit der Umgestaltung der „Innovationsbereiche“ verfolgen, nämlich die Ankurbelung ihrer Geschäfte, deckungsgleich mit dem Gemeinwohl? Die BID-Lobby spricht Klartext: „Damit aber steht zugleich fest, dass es bei den BIDs nicht vorrangig um ideelle Zweckverfolgung gehen kann. Vielmehr geht es ausdrücklich um eine Förderung der wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten…“ (Andreas Schiefers, Rechtsbeistand der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland e.V. in: cima direkt. Zeitschrift für Stadtentwicklung und Marketing, 3/2006) Die Stadtforscher der Hafencity Universität haben da Bedenken: „Die öffentliche Hand ist zudem dafür verantwortlich, … die Sicherstellung öffentlicher Belange sowie die Berücksichtigung gesamtstädtischer Ziele zu garantieren. Durch die Wahrnehmung der städtebaulichen Abstimmungspflicht der Kommune bei der erforderlichen Genehmigung … muss u.a. eine introvertierte und sozial selektive Entwicklung der Verbesserungsgebiete verhindert und einer Verschiebung von Problemen aus einem Urban Improvement District in einen anderen Stadtteil vorgebeugt werden“ (Andreas Schiefers, s.o.). Eine wichtige Erkenntnis. Nur wurde sie leider nicht im Hamburger BID-Gesetz berücksichtigt. Und ebenso wenig steht dort etwas darüber, auf welchem Weg man zu gestalterischen Lösungen kommt. Und so ist von Wettbewerben keine Spur. Stattdessen gibt es kleine Konkurrenzen, die nicht dem Wettbewerbsrecht unterliegen, oder es wird gleich direkt vergeben– ein Unding angesichts des hohen Guts, das da umgestaltet wird: unser aller öffentlicher Raum. Und noch Aspekt sei genannt: Zwar sind sich alle Fachleute einig, dass Improvement Districts immer eine Ergänzung („on top“) und kein Ersatz für die Aktivitäten der öffentlichen Hand im Rahmen der Daseinsvorsorge sein sollen, doch dafür müsste diese Grundversorgung erst einmal verbindlich definiert werden. Und: In Anbetracht aktueller kommunaler Finanzdebakel steigt der Anreiz zum Outsourcing staatlicher Aufgaben stetig.

Protestmotiv gegen den BID Reeperbahn der Initiative S.O.S. St. Pauli

Die Tatsache, dass jahrzehntelang vernachlässigte öffentliche Räume endlich saniert und gepflegt werden kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies getreu dem Motto „Wer zahlt, schafft an“ ausschließlich nach dem Gusto privater Grundeigentümer geschieht – mit dem Ergebnis der immer gleichen Granit- und Terrakotta-Ödnis. Wenn denn schon Kommunen und Länder sich auf diese Weise aus der Verantwortung zur Gestaltung und Pflege der öffentlichen Räume davonstehlen, müsste der Gesetzgeber zumindest stärkere Rahmenbedingungen vorgeben. Seine bisherige Haltung, die Ausgestaltung der Improvement-District-Gesetze den Ländern zu überlassen, reicht nicht aus. Eine Stadterneuerung und –entwicklung durch Private bedeutet eine Entstaatlichung auf sensiblem Terrain und bedarf genauer Regeln und scharfer öffentlicher Kontrolle, die sicherstellt, dass immer das Gemeinwohl im Vordergrund steht.
 

Claas Gefroi




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